Über Authentizität, Perfektion und den Mut, ungeschliffen zu bleiben.
Warum mir Authentizität wichtig ist.
Jetzt sagst du sicher: Authentisch sein, kann man leicht sagen. Aber man muss es nicht nur meinen, sondern auch leben.
Ich bin lieber echt als fake. Persönlich bin ich kein Fan von Filtern. Photoshopretuschen und KI können hilfreich sein, um ein Bild da und dort etwas anzupassen, Hintergründe zu glätten oder Farben zu harmonisieren – aber komplette Gesichtszüge exzessiv verändern, fünf Weichzeichner drüberlegen, jede Pore ausradieren oder sich sogar in einem anderen/fremden Setting darstellen? Nein, das ist nicht mein Fall – vor allem wenn es um persönliche, echte und wahrhaftige Momente im Leben geht.
In meiner Arbeit als Fotografin und auch als Innenarchitektin bedeutet das: Ich nutze Technik als Werkzeug, nicht als Tarnung. Jedes Gesicht, jede Person und jeder Raum erzählt eine Geschichte – und die darf sichtbar bleiben. Ich liebe Charakter, Ausdruck, Eigenheiten. Es geht nicht darum, etwas zu verstecken, sondern hervorzuheben, was einen Menschen bzw. einen Ort ausmacht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich selbst viele Gesichter habe – im übertragenen Sinn. Ich kann in High Heels auf einem Event herum flanieren oder in Stiefeln durchs schwedische Unterholz stapfen. Ich passe in keine Schublade, ich bin der ganze Wandschrank. Und genau das ist für mich Authentizität: sich erlauben, unterschiedlich zu sein, zu experimentieren, sich zu verändern – ohne sich zu verlieren.
Und vielleicht ist es genau das, was mich manchmal nachdenklich macht: Warum möchte man das überhaupt? Was fehlt einem im Leben, dass man sich lieber hinter einem Filter versteckt? Wovor hat man Angst? Welcher Unsicherheit gibt man nach? Welchem (falschen) Idealbild will man folgen, um „perfekt“ zu sein? - Sei doch DU! Dich gibt es nur einmal - embrace it!
Perfektion – ein falscher Freund.
Wie ich das sehe: Perfektion lässt selten Platz für Änderung zu. Man kann sich nicht weiterentwickeln – darf sich nicht verändern, keine graue Haare bekommen, nicht stolpern, nicht lachen oder weinen - nicht frei leben.
Ein gutes Beispiel ist die Statue vom „David“ – makellos, ausbalanciert, wunderschön - seine Pose, Mimik, Gestik - seine perfekt Haut. Michelangelos hat hier eine Momentaufnahme eines Mannes geschaffen – Perfektion – keine Frage, doch es ist ein Trugbild: ein Standbild. David lebt nicht, er erlebt nicht. Er ist aus Stein, poliert, starr, unvergänglich. Er muss sich nicht anpassen, nicht aufstehen, nicht zweifeln, nicht feiern.
Heute ist es nicht mehr der Marmor, der uns festhält, sondern der digitale Glanz – die Illusion, die Oberfläche, die vorgibt, echt zu sein – und uns doch nur blendet. Eben deshalb sollte es nicht Perfektion sein, die wir anstreben – sondern Unbeschwertheit, Freiheit, Persönlichkeit und vorallem Charakter.
Who are you?
Wenn Individualität zum Einheitslook wird.
Wir leben momentan in einer Welt des Überangebots. Vieles ist seit neuem generiert, optimiert, kuratiert. Man predigt Individualität, aber viele verschwinden lieber in der Masse, weil man dazugehören will – sich in Schubladen oder Ideologien versteckt, um nicht anzuecken.
Trends aller Art - Make-up, Augenbrauen, Labels, Mindsets – bringen Gesellschaften auf Linie. Und plötzlich trägt Individualität einen uniformen Mantel. Also immer kritisch bleiben – das Gras beim Nachbarn ist nicht grüner!
Mein Weg raus aus dem Konstrukt.
Ich glaub, es war mit 19 Jahren. Ich saß in einem Warteraum einer Arztpraxis und habe die Magazine durchgeblättert - zum letzten Mal. Also das, was heute Instagram und Co ist, hat man damals geblättert, Tests ausgefüllt, Ratgeber gelesen. Ich hatte dort wohl eine Eingebung – Meinungsbildung, Schönheitsideal, 'Was muss man haben?', 'Wie sollte man sein?' – pfeiff drauf, dachte ich mir.
Ich habe mich aus dem Konstrukt zurückgezogen, soweit man das überhaupt machen kann. In ein Idealbild hab ich noch nie reingepasst, war nie meine Intension, vorallem wusste ich nie, in welches überhaupt. Und meine Naturlocken waren schon immer etwas widerspenstig, so auch ich selbst. Immer ein gewisser Querulant unter all den Mädels mit glatten Haaren, immer charmant, aber auch immer ein Schelm.
In der Entwicklungsabteilung, in der ich jahrelang gearbeitet habe, war ich bzw. waren wir im kleinen Team immer die mit den „schrägen Ideen“ – das kommt mit der Stellenbeschreibung und dem Berufsbild. Da ist man der Typ von Charakter, der nicht ins Schema passt und immer ein Störenfried im 'normalen' Geschäftsablauf darstellt. Aber so ist das, wenn man etwas Neues entwickelt, Dinge vorrantreibt und nicht stehen bleibt. Damit muss man umgehen können – auch mit den misstrauischen Blicken, dem Kopfschütteln – dem Gegenwind. Genau das formt den Charakter.
Die ungeschminkte Seite.
Apropo Gegenwind. Nicht, dass ich das brauche - aber ja - ich suche es. Auf YouTube gibt es ein paar Videos meiner Touren. Diese beginnen meist entspannt, mit einem Lächeln – und enden meist in völliger Zerstörung – the good, the bad, the ugly. Ich habe beim Schneiden überlegt, ob ich gewisse Szenen mit den Tiefs und 'Nervenzusammenbrüchen' weglassen soll. Aber nein – das gehört dazu.
Sauwetter, Blasen, Erschöpfung, der Zustand, wenn man gefühlt aus dem letzten Loch bläst... Manche Wege fangen erst an, wenn man mit Knieschmerzen und Blasen im portugiesischen Wald fluchend wie Rumpelstielzchen herumspringt oder in Schweden mit möglichem Fieber sich an einen rettenden Strand flüchtet – all das ist Teil der Geschichte. Nicht alles ist blauer Himmel und Sonnenschein. Und genau das macht es echt und ich stehe dazu. Also 'embrace the suck.' - wie die Navy Seals sagen.
Angst ist eine Illusion
'Angst ist eine Illusion', sagte Meister Shi Heng Yi der Leiter des Shaolin Temple Europe einmal in einem Interview. Wenn man das einmal aufnimmt und verinnerlicht, löst sich etwas in einem – zumindestens war es bei mir so. Man macht sich keine oder weniger Sorgen, was andere denken. Die Ängste und Zweifel anderer sind nicht die eigenen. Man sieht die Welt anders – echter, klarer, lebendiger.
Und vielleicht erkennt man dann: Das Leben braucht keine Filter. Nur Mut, es wirklich zu leben. Echt zu sein ist kein Trend. Es ist eine Entscheidung – jeden Tag aufs Neue.
... und vielleicht beginnt Freiheit genau dort, wo man aufhört, jemand anderes sein zu wollen.




